Albtraum Rechtschreibreform

Falls der Titel überlesen wurde: Früher und vorübergehend heißt es richtig: Alptraum. Die neue Rechtschreibung machts möglich und ist hingegen ein Albtraum denen, die umlernen müssen. Die jetzigen Erstlerner in den ersten Klassen werden in zwei Jahren besser als wir Profi-Schreiber sein im Wettturnen mit den Änderungen unserer Schriftsprache. In dieser Kolumne übe ich schon mal im Schritttempo diese Änderungen, die meinem Gefühl nach glatter Frefel sind und mich wie einen Seeelefanten im Porzellanladen unserer Sprache aufführen lassen. Wie ein Tollpatsch werde ich schreiben und statt früherer Behändigkeit und Überschwänglichkeit in meiner Muttersprache - mit fehlerhafter Zähheit am Alten (alten?) festzuhalten suchen. Apropos Groß- und Kleinschreibung: Schwarze Bretter und Messen werden nun kleingehalten werden wie die erste Hilfe. Hingegen bleiben angesichts ihrer Heiligkeit der 24. Dezember ein Heiliger Abend und der Hamburger Bürgermeister bleibt ein Erster Bürgermeister so wie die Hoheiten Königlich bleiben, wenn sie vorher schon welche waren. Dennoch: Vor dem Gesetz bleiben alle gleich niedrig oder hoch, aber darüber hinaus wird sich auch nach der Rechtschreibreform Gleich zu Gleichem gesellen und Arm und Reich getrennt bleiben. Spezialbereiche unseres Verkehrs werden revolutioniert durch die rechte Schreibung: Schifffrachten werden in der Schifffahrt auf der Hohen See ebenso wie auf Flussstrecken werden transportiert Flusssenken wie Seeengen navigatorisch wie rechtschreibtechnisch bewältigen müssen. Der gewöhnliche Verkehr wird weiter auf Asphalt fließen bzw. nicht fließen, weil die Platzierungen für Autos auf der Erdkruste immer rarer werden. Im stop and go von Staus und ebenso im Gesundheitswesen werden wir von Zigaretten zu Zigarren wechseln und entsprechend schimpfen. Toben und die alte Rechtschreibweise auf einen Tron heben und herbeisehnen wer- den wir aber bei der Zeichensetzung: Dort sind lauter Kann-Formulierungen miverständlichster Art. Christine (schließlich Deutschlehrerin) wird mit vielleicht ohne einen Augenblick zu zögern ihre Hilfe anbieten (doch, dieser Satz ohne Kommata wäre auch erlaubt). Die Freiheiten, die die neue Rechtschreibung meint, wird wie alle Freiheiten, zunächst verunsichern. Und vielen wird die neue Sprache wie Kaffee-Ersatz vorkommen. Künftig: Kaffeeersatz.

13. August 1996